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Ne mohotatse

 
Es war einmal … natürlich nur eine unglaubliche Geschichte …
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Du kennst den Mond, oder? Was siehst Du, wenn Du hinaufschaust?
Alle Menschen meinen, sie wüssten, dass dort niemand lebt. Das stimmt aber nicht. Dort oben sind kleine, fast unsichtbare Wesen – Menschen würden sie vielleicht als Kobolde bezeichnen, wenn sie sie sehen könnten.
Des nachts fegen sie brav den Mond, damit er hell und klar leuchtet, tagsüber schlafen sie.
Bis eines Tages ein paar junge Kobolde, die nichts als Unsinn im Kopf hatten, sich langweilten.
 
Sie kamen auf die Idee, sich die Erde einmal genauer anzuschauen – die Erde und vor allem diese Wesen, die von oben so merkwürdig aussahen, sich in andere stinkende Wesen setzten und mit ihnen über den Erdball brausten … .
So kamen sie auf unseren Planeten – unsichtbar und lautlos.
 
Was gab es da nicht alles zu entdecken … sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, waren sie doch nur die Stille des Mondes gewohnt.
 
Es war doch zu interessant – neugierig berührten sie eines dieser Wesen. Das Wesen zuckte zusammen, schaute sich mit unbegreiflich erschrecktem Gesicht um, sah niemanden und lief wie gehetzt davon. Die Kobolde konnten sich kaum halten vor Lachen – so komisch fanden sie dieses Schauspiel.
Da – es kam ein neues Wesen daher. Noch einmal – Berührung, Erschrecken, Davonlaufen. Die kleinen Kobolde fanden Gefallen an dem Spiel.
Bis der Mond aufging und es höchste Zeit war, zurückzukehren.
 
Mit dem nächsten Sonnenaufgang flogen sie wieder auf die Erde – diesmal hatten sie einen anderen Platz gewählt. Hier waren viele Menschen unterwegs. Sie genossen das bunte Treiben und lauschten erstaunt dem Stimmengewirr. Es klang wie Musik in ihren Ohren und sie begannen, selber Laute von sich zu geben. Sie schnappten Wortfetzen und Gespräche auf, ahmten sie nach und staunten über sich selber – was sie nicht alles konnten! Was für ein Spaß!
 
Und wie interessant – die Menschen schienen sie hören zu können! „Was hast Du gerade zu mir gesagt???“ „Nichts!“ Doch – Nein – Doch – Nein … Lustig fanden es die Kobolde, wie plötzlich viele dieser Menschen-Wesen in Aufruhr waren!
 
Jeden Tag waren sie jetzt auf der Erde, immer mehr der kleinen Mondbewohner fanden Gefallen an den Erdenbesuchen – war es doch eine spannende Abwechslung zu dem eintönigen Leben auf dem Mond – immer nur fegen und schlafen …
Diese Ton-Experimente auf der Erde dagegen faszinierten sie unglaublich. Sie nahmen alle Worte auf, wiederholten sie in neuen Reihenfolgen, spielten damit und amüsierten sich köstlich.
 
Und die Menschen? Sie wurden immer verwirrter. Was hatten sie gerade gehört? Konnte es sein, dass überall so viel Unsinn erklang? Aber es wurde immer mehr, was sie hörten, es wurde immer lauter, verwirrender um sie herum.
 
Da sie nur die anderen Menschen, aber nicht die kleinen Kobolde sahen und mit der Zeit glaubten, was sie hörten, obwohl sie immer seltener verstanden, was sie hörten, begannen sie erst mit dem Versuch, lauter zu sein, als die wirren Stimmen.
Dann – erschöpft vom “Sich-Anschreien“ – gingen sie sich gegenseitig aus dem Weg.
Als auch das aus unerklärlichen Gründen nichts half, die Stimmen und unverständlichen Sätze trotz allem Abstand lauter und lauter wurden, zogen sie sich in ihre Häuser zurück. Sie schlossen sorgfältig Türen und Fenster, in der Hoffnung, dass alle wieder zur Besinnung kommen würden, wenn sie sich nur lange genug voneinander fernhielten und jedes Gespräch vermieden.
 
Die Kobolde wunderten sich – aber wie Kobolde so sind, erfanden sie einfach neue Spielregeln: wer zwischen Sonnenaufgang und – untergang die meisten Menschenworte in die Straßen gerufen hatte und am lautesten dabei war, hatte gewonnen!
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Ein alter Mann saß in seinem Garten, schaute in die Sterne – endlich Stille.
Der Mond ging auf und leuchtete hell in seine Beete.
 
„Guter Mond“, murmelte er, „Du siehst doch alles, was geht hier vor? Sind wirklich so viele verrückte, laute Menschen hier auf der Erde, die so viel unverständliches Zeug reden?“
Bedächtig reckte sich der Mond zu seiner runden Größe, es schien, als würde er zwinkern.
„Du Erdling – nein! Natürlich nicht … Es sind die kleinen Mondkobolde, die bei Euch ihr Unwesen treiben.“
Der alte Mann sah erstaunt auf. Träumte er oder hatte der Mond zu ihm gesprochen? … und WAS hatte er gerade gesagt?
„Ich kann sie nicht davon abhalten“, fuhr der Mond fort, als seien Mondkobolde das normalste von der Welt, „ich schlafe tagsüber und nachts bin ich mit Leuchten beschäftigt. Sie wissen es nicht besser, sie glauben es sei ein Spaß, ein Spiel. Sie ahmen Eure Sprache nach und genießen es, laut zu sein. Aber niemand von Euch sieht sie, so dass Ihr meint, Menschen würden all das wirre Zeug reden.“
 
Der Mond schwieg einen Moment, schien dem alten Mann direkt in die Augen zu schauen.
„Ja – ich weiß, für Euch ist es kein Spiel. Menschen sind so ernst, sie vertrauen anderen nicht, sich selber schon gar nicht. Und wenn sie miteinander reden, hören sie nicht zu. Wie sollten sie so herausfinden, dass viele der Worte, die sie hören, überhaupt gar keinen Sinn haben, nur Geplänkel sind – ja, nicht einmal für sie bestimmt sind?“
 
Wieder schwieg der Mond, als dächte er nach.
„Aber ich verrate Dir ein Geheimnis. Es gibt ein Zauberwort, mit dem man die Kobolde von ihrem Treiben abbringen und die Menschen wieder beruhigen kann.
Es heißt ‚Ne mohotatse‘. Sag es drei Mal, wenn Du sie in Deiner Nähe spürst oder hörst – dann werden sie verschwinden. Sag es allen weiter, dann werdet Ihr wieder zur Ruhe kommen und zueinander finden.“
 
Der alte Mann wartete, bis die Sonne am Horizont erschien, und machte sich auf den Weg „Ne mohotatse – Ne mohotatse – Ne mohotatse – …“, murmelte er vor sich hin.
Es schien tatsächlich zu wirken, es war Stille um ihn herum, keine Stimmen, keine unzusammenhängenden Worte! Er probierte es noch ein paar Mal aus – leise, lauter, immer lauter …
 
Davon beflügelt lief er wie befreit durch die Straßen, begann zu tanzen, sang aus voller Kehle „Ne mohotatse“. Allen wollte er das Zauberwort des Mondes zu bringen, jubelte es in ihm.
 
„Es hört auf – der Spuk hat ein Ende – Ihr müsst nur das Zauberwort laut aussprechen, dann hört das Geschrei um uns herum auf!“, rief er laut in jeden Hauseingang, in jedes Fenster, „Ne mohotatse!“
Aber nichts rührte sich. Hinter den Türen konnte er die Menschen spüren, aber sie wagten es nicht, auch nur einen Schritt auf die Straße zu setzen … zu sehr fürchteten sie sich offensichtlich inzwischen vor dem beängstigenden Stimmengewirr und den scheinbar verrückt gewordenen Menschen draußen – zu sehr fürchteten sie, dass sie selber draußen ebenfalls verrückt werden könnten.
„Ein Zauberwort!“, dachten die meisten von ihnen, „Tse tse – das soll helfen??? So ein Blödsinn!“
 
Müde kehrte der alte Mann abends heim – kaum jemandem hatte er von „Ne mohotatse“ erzählen können.
 
„Verzweifle nicht!“, ertönte tief die Stimme des Mondes in seine Gedanken. „Sie werden es irgendwann verstehen, wenn es leiser um sie herum wird und sie ihre eigenen Gedanken wieder spüren können. Lass ihnen Zeit!“
 
„Ach – wenn es nur nicht so leer auf den Straßen geworden wäre. Es macht mich traurig, niemandem mehr zu begegnen. Aber wahrscheinlich hast Du Recht – sie brauchen Zeit“, erwiderte der Alte nachdenklich. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht: „Und – wer würde in unserer Welt auch an einen Zauberspruch glauben?“
 
Einen Moment ließ der Mond nur sein Licht sanft auf die Erde fallen. Dann antwortete er, ohne auf die Worte des alten Mannes einzugehen: „Die Kobolde werden nach und nach den Spaß an ihrem Erdentreiben verlieren, je öfter ihr das Wort laut aussprecht. Es erinnert sie an ihren Ursprung, an ihre eigene Stille – Ne mohotatse – das bringt sie wieder nach Hause – und die Menschen wieder zusammen.“
 
Der alte Mann betrachtete seine Blumen, die im Dunkel der Nacht geheimnisvoll glänzten.
 
„Sag, lieber Mond, was bedeutet ‚Ne mohotatse‘?“
 
„Es heißt ‚ich liebe Dich‘“.
 
©Antje Renz
 
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